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Geschichte

Geschichte der Anästhesiologie in Erlangen

Von den ersten Narkosen über den Aufbau der Intensiv- und Schmerzmedizin bis hin zu modernen Entwicklungen in Notfallmedizin, Lehre und Forschung: Die Geschichte der Anästhesiologie an der FAU Erlangen-Nürnberg ist eng mit den Innovationen und Fortschritten des Fachgebiets in Deutschland verbunden. Im Mittelpunkt stand dabei stets die bestmögliche Patientenversorgung. Hier geben wir einen Überblick über die wichtigsten Etappen – von den Anfängen in den 1950er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. 

Die Anfänge im 19. Jahrhundert

Erlangen nahm schon früh eine besondere Stellung in der Geschichte der Anästhesie ein: Am 24. Januar 1847 führte Johann Ferdinand Heyfelder, Ordinarius für Chirurgie, hier eine der ersten Äthernarkosen in Deutschland durch – beim 26-jährigen Schuhmachergesellen Michael Gegner. Innerhalb weniger Wochen dokumentierte er über 100 solcher Eingriffe und veröffentlichte seine Beobachtungen noch im selben Jahr.

Seine Fakultätskollegen, der Chemiker Ernst von Bibra und der Physiologe Emil Harless, waren so fasziniert, dass sie umgehend eigene experimentelle Studien zur Wirkung des Äthers begannen. Bereits im April 1847 erschien ihre gemeinsame Publikation – ein bemerkenswert schneller Wissenstransfer, der Erlangen zu einem der frühen wissenschaftlichen Zentren der Anästhesie in Deutschland machte.

Nur wenige Monate später war Erlangen erneut vorn: Am 1. Dezember 1847 erprobte Heyfelder auch das damals neue Chloroform, das der schottische Geburtshelfer James Young Simpson entdeckt hatte. Heyfelder nutzte es fortan bevorzugt, blieb sich aber der Risiken bewusst: Er forderte, dass während der Narkose mindestens zwei Helfer ausschließlich für die Anästhesieführung und die Überwachung der Patientinnen und Patienten zuständig sein sollten – ein Gedanke, der dem modernen Konzept der Vitalzeichenüberwachung erstaunlich nahekommt.

Fortschritte im 20. Jahrhundert

In den folgenden Jahrzehnten wurde Erlangen immer wieder zum Schauplatz neuer Entwicklungen. Ein Beispiel ist die sogenannte „Plombenperidurale“ von Kurt Denecke, eine Weiterentwicklung der Periduralanästhesie nach Dogliotti, die mithilfe einer Gelatine-Plombe eine segmentale Begrenzung der Anästhesie ermöglichte. Bis in die 1950er-Jahre hinein war sie in der Erlanger Chirurgie das Verfahren der Wahl – auch für große Operationen.

Der entscheidende Schritt zur Institutionalisierung erfolgte Mitte der 1950er-Jahre. Mit der Berufung von Prof. Gerd Hegemann zum Direktor der Chirurgie im Jahr 1955 begann der gezielte Aufbau einer eigenen Anästhesieabteilung. Hegemann kannte den Wert einer professionalisierten Anästhesie aus seiner Zeit in Marburg und holte gezielt international erfahrene Ärzte nach Erlangen.

Erste Leitungen der Abteilung

  • Dr. Heinz-Otto Silbersiepe (1956) – ausgebildet in Berlin und als Resident am Department of Anesthesiology des Georgetown Medical Center (Washington D.C.) tätig, trat er am 1. April 1956 seinen Dienst in Erlangen an. Nach nur einem halben Jahr kehrte er jedoch in die USA zurück. Sein Name erscheint dennoch im Vorlesungsverzeichnis 1956/57, wo erstmals die „Allgemeine Chirurgie und Anästhesie“ als kombinierte Lehrveranstaltung angekündigt wurde.
  • Dr. Helmut Schaudig (1956–1957) – aus Würzburg kommend, mit intensiver Weiterbildung in Wuppertal und Basel, führte er die Abteilung bis zu seiner Facharztanerkennung und wechselte dann zurück in die Chirurgie.
  • Dr. Erich Kirchner (1957–1958) – in Fürth geboren, in Erlangen ausgebildet und in Heidelberg bei Rudolf Frey in Anästhesie geschult, übernahm er die Abteilung ab Oktober 1957. Nach nur 13 Monaten legte er die Leitung nieder.
  • Dr. Karl-Hans Bräutigam (1959) – nach Stationen in Remscheid, Bielefeld und einem Forschungsaufenthalt in Pharmakologie wurde er am 1. Januar 1959 Leiter der Abteilung, wechselte jedoch bereits im Juli 1959 nach Stuttgart.

Aufstieg von Dr. Erich Rügheimer

In dieser Phase trat Dr. Erich Rügheimer immer stärker in den Vordergrund. Bereits 1956 hatte er die Facharztanerkennung für Anästhesie erhalten. Nachdem er die Abteilung bereits mehrmals kommissarisch geleitet hatte, übernahm er ab 1958 dauerhaft Verantwortung. 1960 wurde er Oberarzt der Chirurgie, 1964 habilitierte er sich. Unter seiner Führung weitete sich die anästhesiologische Betreuung bald über die Chirurgische Klinik hinaus aus: Ab 1961 die HNO-Klinik, ab 1962 auch die Kiefer-, Augen- und Frauenklinik. Damit entstanden die ersten Strukturen einer zentralen anästhesiologischen Einrichtung am gesamten Klinikum.

Akademische Etablierung

Die Fakultät unterstützte diese Entwicklung früh: Schon 1963 wurde ein Extraordinariat für Anästhesiologie bewilligt – das erste seiner Art an einer bayerischen Universität. Zum 1. April 1966 wurde Dr. Erich Rügheimer auf diesen Lehrstuhl berufen.

Seine Antrittsvorlesung „Die Bedeutung der Anästhesie für die operative Medizin“ am 17. Februar 1968 machte deutlich, wie unverzichtbar das Fach für den klinischen Fortschritt geworden war. 1970 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor, 1974 die Umwandlung der Abteilung in das „Institut für Anästhesiologie der Universität Erlangen-Nürnberg“. Damit war die Anästhesiologie als eigenständiges Fachgebiet innerhalb der Fakultät endgültig etabliert.

Bedeutung bis heute

Von den ersten Äther- und Chloroformnarkosen im 19. Jahrhundert über die Etablierung eines eigenen Lehrstuhls in den 1960er-Jahren bis zur modernen Klinik heute: Erlangen hat die Geschichte der Anästhesiologie in Deutschland entscheidend mitgeprägt.

Heute steht die Anästhesiologische Klinik für exzellente operative und intensivmedizinische Versorgung, Schmerzmedizin, Notfallmedizin und wissenschaftliche Innovation und Lehre – und entwickelt diese Verantwortung kontinuierlich weiter.

Prof. Dr. med. Erich Rügheimer

Prof. Dr. med. Erich Rügheimer (1926–2007) studierte Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, wo er sich nach seiner Promotion 1953 zunehmend der Anästhesiologie zuwandte. Er erwarb sowohl die Facharztanerkennung für Anästhesie (1956) als auch für Chirurgie (1958) und übernahm 1960 die Leitung der Anästhesieabteilung an der Chirurgischen Klinik. Nach seiner Habilitation (1964) wurde er 1966 zum Extraordinarius für Anästhesiologie berufen und erhielt 1970 den ersten Lehrstuhl für Anästhesiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen. 1974 wurde die Abteilung zu einem eigenständigen zentralen Institut erhoben, das er bis zu seiner Emeritierung 1995 leitete.

Ausbau von Klinik und Strukturen

Unter Rügheimers Leitung entwickelte sich die Anästhesiologie von einer kleinen Abteilung mit wenigen Mitarbeitern zu einem zentralen Institut mit über 150 Beschäftigten. Parallel zur baulichen Erweiterung des Klinikums (u. a. Neubauten 1964 und 1978) erhielt das Institut eigene Räume für Forschung, Lehre und klinische Versorgung. 1990 konnte der lang geplante Neubau im Verbindungsbau zwischen Chirurgischer und Medizinischer Klinik bezogen werden.

Schmerztherapie und Intensivmedizin

In den 1980er Jahren wurde die Schmerztherapie systematisch ausgebaut. 1985 gründete das Institut gemeinsam mit anderen Kliniken die „Schmerzkonferenz“, 1988 folgte die Einrichtung einer eigenen Schmerzambulanz. Auch die Intensivmedizin entwickelte sich weiter: Bereits Ende der 1950er Jahre war die Anästhesie in die Betreuung der chirurgischen Intensivpatienten eingebunden. Die Abteilung stellte sicher, dass die Vitalfunktionen der Patienten interdisziplinär überwacht und therapeutisch unterstützt wurden. Die organisatorische Leitung der Station verblieb jedoch bis 1995 bei der Chirurgischen Klinik. Erst im Vorfeld der praktisch gleichzeitigen Neubesetzung der Lehrstühle für Chirurgie und Anästhesiologie beschloss die Medizinische Fakultät – entsprechend einer Vereinbarung der Fachgesellschaften für Chirurgie und Anästhesiologie – die Übertragung der organisatorischen Leitung der interdisziplinär belegten operativen Intensivstation auf die Anästhesie. Dieser Fakultätsbeschluss wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Rahmen der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Anästhesiologie zum 1. Juni 1995 vollzogen.

Notfallmedizin

1974 übernahm das Institut die ärztliche Besetzung des Notarztwagens in Erlangen und baute damit eine enge Zusammenarbeit mit Stadt und Bayerischem Roten Kreuz auf. Ab 1978 engagierten sich Erlanger Anästhesisten zudem am Luftrettungsstandort „Christoph 27“ in Nürnberg.

Forschung und Lehre

Rügheimer legte großen Wert auf Lehre und Weiterbildung. Bereits ab den 1960er Jahren baute er ein strukturiertes Curriculum in Anästhesie, Wiederbelebung und Notfallmedizin auf. In den 1980er Jahren folgte ein systematisches Weiterbildungskonzept, das klinische Propädeutika und praxisnahe Trainings einschloss. Forschungsschwerpunkte lagen in der respiratorischen Insuffizienz, Beatmungstechnik, Sepsisforschung und klinisch-pharmakologischen Studien. Die Einrichtung eigener Forschungslabore ermöglichte die Etablierung mehrerer Arbeitsgruppen.

Medizintechnik und Patientensicherheit

Frühzeitig erkannte Rügheimer die Bedeutung der Medizintechnik für die Patientensicherheit. 1979 entstand eine eigene Arbeitsgruppe Medizintechnik, die für Gerätepflege, Entwicklung und Sicherheitsstandards verantwortlich war. Damit war Erlangen bundesweit Vorreiter in der systematischen Umsetzung von Sicherheitskonzepten in der Anästhesie.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jürgen Schüttler

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jürgen Schüttler (*19. Dezember 1953 in Bonn) studierte Medizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1974–1980) und promovierte 1982 zur klinischen Pharmakokinetik von Fentanyl. Nach Postdoctoral Fellowships an der Stanford University (1982–1983) erwarb er 1985 die Facharztanerkennung für Anästhesiologie, wurde Oberarzt in Bonn und habilitierte 1986 mit einem Schwerpunkt auf pharmakokinetischer und -dynamischer Modellbildung intravenöser Anästhetika. 1995 wurde er auf den Lehrstuhl für Anästhesiologie an der FAU Erlangen berufen und Direktor der Klinik für Anästhesiologie, eine Position, die er bis 2022 innehatte. Nach seiner Emeritierung ist er für die Medizinische Fakultät weiterhin als Senior Professor für Anästhesiologie und als Beauftragter für den Medizincampus Oberfranken tätig. 2004 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Cluj-Napoca (Rumänien).

Klinische Anästhesie

Unter Schüttler wurden die Anästhesiologische Klinik und die operativen Bereiche des Universitätsklinikums baulich und technisch modernisiert. Neubauten, darunter das Internistische Zentrum und seit 2013 das Chirurgische Bettenhaus, ermöglichten eine zeitgemäße Patientenversorgung. Der Gerätebestand konnte über Großgeräteanträge nach dem Hochschulbauförderungsgesetz auf den neuesten Stand gebracht werden, inklusive Neuromonitoring an allen OP- und Intensivplätzen. Das frühere Beleglesersystem (Medlinq) wurde sukzessive durch das digitale Dokumentationssystem Narkodata ersetzt. Durch zusätzliche Aufgaben in der Notfallmedizin und auf der Interdisziplinären Operativen Intensivstation wurde die Klinik zu einer der personalstärksten Einrichtungen des Universitätsklinikums.

Schmerztherapie

Die Versorgung chronischer Schmerzpatienten wurde durch die Gründung des Zentrums für interdisziplinäre Schmerztherapie (ZIST) 2001 erheblich verbessert. Hintergrund war die damals unzureichende Versorgung chronischer Schmerzpatienten, auch im niedergelassenen Bereich Mittelfrankens. Der Antrag des Universitätsklinikums Erlangen auf Einrichtung des ZIST wurde vom Planungsausschuss für die Hochschulklinika in Bayern einhellig unterstützt, die Finanzierung durch die Krankenkassen zugesagt. 2003 wurden die Räume für das Zentrum im Verbindungsbau eingerichtet, in dem bereits zentrale Bereiche der Anästhesiologischen Klinik und die Anästhesie-Ambulanz untergebracht waren.

Intensivmedizin

Die Anästhesie war von Anfang an interdisziplinär in die therapeutische Betreuung der Intensivpatienten hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen eingebunden. Die organisatorische Leitung blieb jedoch bis 1995 bei der Chirurgischen Klinik. Erst im Vorfeld der gleichzeitigen Neubesetzung der Lehrstühle für Chirurgie und Anästhesiologie erging ein Fakultätsbeschluss, die organisatorische Leitung der interdisziplinär belegten Intensivstation auf die Anästhesie zu übertragen; dieser Beschluss wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zum 1. Juni 1995 umgesetzt. Im Zuge der Sanierung des zentralen OP-Traktes wurde die Interdisziplinäre Operative Intensivstation nach den damals gültigen baulichen und technischen Standards modernisiert und bot ein umfassendes Spektrum intensivmedizinischer Diagnostik und Therapie.

Notfallmedizin

Die Klinik für Anästhesiologie entwickelte ab 1996 im Rahmen eines Modellprojekts den Leitenden Notarztdienst für Erlangen und den Landkreis Erlangen-Höchstadt. Ab 1998 begann die ärztliche Besetzung des in Erlangen stationierten Intensivtransportwagens (ITW), initiiert und durchgeführt zusammen mit dem Bayerischen Roten Kreuz. 2001 wurde im Gebiet des Rettungszweckverbandes Nürnberg offiziell das Leitende Notarzt-System eingeführt; die Erlanger Erfahrungen flossen maßgeblich in die bayernweite Umsetzung ein. Parallel dazu wurden ein innerklinisches Notfallversorgungssystem und eine Katastrophenplanung für das Klinikum etabliert, unterstützt durch moderne, computergesteuerte Alarmierung. Forschungsaktivitäten in den Bereichen Reanimation, Ischämie und Multicenter-Studien sowie regelmäßige Kurse und Symposien trugen zur Weiterentwicklung der Notfallmedizin in Klinik und Region bei.

Studentische Lehre und Weiterbildung

1996 wurde der erste „Erlanger Anästhesie-Simulator“ in Betrieb genommen – der erste Full-Scale-Simulator in der deutschen Anästhesiologie. Er ist integraler Bestandteil der studentischen Ausbildung und ärztlichen Weiterbildung, insbesondere im Rahmen von Crisis Resource Management (CRM). Das klinische Propädeutikum wurde fortentwickelt, Simulationstraining etabliert und externe Kurse zu TIVA, Schmerztherapie, Sepsis-Therapie und Notfallmedizin deutlich erweitert.

Forschung

Die Forschungsaktivitäten wurden unter Schüttler ausgeweitet und durch die Einrichtung einer Professur für Experimentelle Anästhesiologie 1996 mit Prof. Dr. Dr. Helmut Schwilden gestärkt. Schwerpunkte lagen auf Reanimations- und Ischämieforschung, pharmakologischen Studien, Intensivtherapie sowie technischen Entwicklungen im Bereich Monitoring und Patientensicherheit.

Informationstechnologie und Datenverarbeitung

Mit dem Fokus auf IT und Datenverarbeitung wurde nach dem Lehrstuhlwechsel 1995 eine eigene Abteilung für Informationstechnologie in Anästhesie und Intensivmedizin aufgebaut. Durch einen HBFG-Antrag konnten zahlreiche Rechnerarbeitsplätze geschaffen werden. Unter Leitung von Dr. Norbert Lutter entstand ein Kliniknetz mit nahezu flächendeckenden Arbeitsplätzen in Klinik, Forschung und Verwaltung. Das elektronische Patientendatenmanagement wurde in Anästhesie, Intensivtherapie, Notfallmedizin und Schmerzambulanz implementiert. Parallel liefen größere Forschungsprojekte zu IT-Anwendungen und modernen Monitoring- und Therapiemethoden, finanziert durch Bundesmittel und die Bayerische Forschungsstiftung.

Heute steht die Anästhesiologie an der FAU Erlangen-Nürnberg weiterhin für Innovation und patientenorientierte Versorgung. Digitalisierung, Teleintensivmedizin und künstliche Intelligenz ermöglichen es, Risiken frühzeitig zu erkennen und die Therapie individuell zu gestalten. Gleichzeitig entwickeln wir Narkose- und Intensivkonzepte für eine alternde, komplex erkrankte Bevölkerung, berücksichtigen Nachhaltigkeit und Klimaschutz und modernisieren Arbeitsstrukturen, um unserem Team langfristig optimale Rahmenbedingungen zu bieten. So setzen wir die Tradition mit modernen Ansätzen fort: medizinische Exzellenz, Innovation und das Wohl der Patientinnen und Patienten stehen immer im Mittelpunkt.